Das Schweigen des Sammlers by Jaume Cabré

Das Schweigen des Sammlers by Jaume Cabré

Autor:Jaume Cabré
Die sprache: de
Format: mobi, epub
Herausgeber: Insel Verlag
veröffentlicht: 2010-12-31T23:00:00+00:00


31

Achtes Arrondissement, rue Laborde 48. Ein eher trister Wohnblock mit rußgeschwärzter Fassade. Er klingelte, und die Tür öffnete sich mit einem dumpfen Laut. An den Briefkästen las er ab, dass er in den sechsten Stock hinauf musste, und beschloss, zu Fuß zu gehen, um die vor Panik aufgestaute Energie loszuwerden. Oben angekommen, wartete er zwei Minuten, bis Herz und Atem ruhiger gingen. Dann drückte er die Klingel, die geheimnisvoll bzsbzsbzsbzs wisperte. Auf dem Treppenabsatz war es ziemlich dunkel, und niemand öffnete. Da! Waren da nicht sachte Schritte zu hören? Die Tür ging auf.

»Hallo.«

Bei meinem Anblick fiel dir die Kinnlade herunter, und deine Miene versteinerte. Du ahnst nicht, wie sehr es mir zu Herzen ging, dich nach all den Jahren wiederzusehen, Sara. Du sahst älter aus; nicht gealtert, meine ich, sondern älter und noch genauso schön. Auf eine ruhigere Art schön. Und ich dachte, dass niemand das Recht hatte, uns unsere Jugend zu stehlen, wie sie es getan hatten. Hinter dir stand auf einer Konsole ein Strauß Blumen, sehr hübsch, aber von einer Farbe, die mir traurig erschien.

»Sara.«

Sie schwieg. Natürlich hatte sie mich erkannt, aber sie hatte mich nicht erwartet. Ich kam ungelegen, war nicht willkommen. Ich gehe ja schon, ich komme ein anderes Mal wieder, ich liebe dich, ich wollte bloß, ich will mit dir reden, über … Sara.

»Was willst du?«

Wie ein Lexikonvertreter, der weiß, dass er nur eine halbe Minute hat, um seinen Text loszuwerden, bevor ihm der skeptische Kunde die Tür vor der Nase zuschlägt, öffnete Adrià den Mund und ließ dreizehn kostbare Sekunden verstreichen, ehe er sagte, sie haben uns betrogen, sie haben dich betrogen, du bist weggelaufen, weil sie dir schreckliche Dinge über mich erzählt haben. Dinge, die nicht stimmten. Und schreckliche Dinge über meinen Vater. Dinge, die stimmten.

»Und was ist mit dem Brief, in dem du mir geschrieben hast, ich sei eine dreckige Jüdin und könne dir mitsamt meiner hochgestochenen Sippschaft den Buckel runterrutschen?«

»Ich habe dir nie einen Brief geschrieben! Kennst du mich denn nicht?«

»Nein.«

Ein Lexikon ist ein nützliches Instrument für eine kulturell interessierte Familie wie die Ihre, gnädige Frau.

»Sara. Ich bin gekommen, um dir zu sagen, dass meine Mutter das alles eingefädelt hat.«

»Herzlichen Glückwunsch. Wann war das noch mal?«

»Vor vielen Jahren! Aber ich habe es erst vor fünf Tagen erfahren! Und so lange habe ich gebraucht, um dich ausfindig zu machen! Du warst doch verschwunden!«

Ein solches Werk ist nützlich für jedermann, für Ihren Mann wie für Ihre Kinder. Haben Sie Kinder, gnädige Frau? Haben Sie einen Mann? Bist du verheiratet, Sara?

»Ich dachte, du wärst verschwunden, weil du Probleme hattest, und niemand wollte mir sagen, wo du bist. Nicht einmal deine Eltern …«

Praktischerweise zahlbar in zweiundzwanzig Raten. Und dabei verfügen Sie schon vom ersten Tag an über die zehn Bände.

»Deine Familie hat meinen Vater gehasst, weil …«

»Das weiß ich alles schon.«

Sie können diesen Band behalten und ihn sich in Ruhe ansehen, gnädige Frau. Ich komme wieder, irgendwann, vielleicht nächstes Jahr, aber seien Sie mir bitte nicht böse.

»Ich wusste nichts davon.«

»Dieser Brief, den du mir geschrieben hast … Du hast ihn persönlich meiner Mutter gegeben.



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